Die famose Lesung in der «Letzten Latern'» der Herren Keller und Epper (Güllen, 1995).
Slam it! ¬ It’s fuckin’ poetry, isn’t it? ¬ it’s prostitution! ¬ it’s a rip off! ¬ it’s all about fiction & reality!
(Geschrieben: zirka 1996, Fotos: analog, Mineralwasser: billig (3.40), Seele: verschupft)
Alles Gute kommt aus Sock’s Land – den U.S.A. Nach dem Apostroph, den jedes ‹s› am Wortende magisch anzieht, nach Jochen’s Grill also und den Urlaub’s Foto’s, entwickelt von der Migros’ – ich möchte bei der Foto-Qualitätskontrolle der Migros’ arbeiten, dann kann ich alles an Foto’s mitnehmen, was mir gefällt – gibt’s nun auch hier Slam! Poetry! Beat! Pop!-Literature. Nimm’ einen Tisch, setzt dich hin, oder noch besser, stell’ dich hin, wie ein besoffener Prediger – und lies, bis die versammelten Trinker’s ihre mentalen Camera’s auf dich gerichtet haben – ein Dutzend Schnappschüsse – das Publikum muss gieren – Szenenapplaus, Unmutsäusserungen. So geht das ab mit dem Slam! Sagt man – leider ist alles ganz anders – und viel schlimmer.
Das ist das Ende der Einleitung und die Kneipe heisst ‹Zur letzten Latern’›, steht nicht in ’merika, sondern in Güllen, und Kurt, der Wirt, mag meine Texte, Ich merke bald: Er mag auch mich, hat er doch im Buch kleine Striche gemacht, wie im Knast, für jedes «ficken» einen roten Strich, für jeden «Schwanz» einen blauen. Kurts Farbenlehre ist noch nicht ganz ausgereift, doch oft liegt er richtig: Immer wenn da «Pisse» oder «pissen» steht, leuchtet’s gelb, das «Sperma» ist schneeweiss, und Kurt findet’s also ganz toll, mit mir diese Lesung ab¬zuhalten. Ich darf mit ihm in den Abstellraum den Tisch holen – der Tisch ist wichtig, da wird sich alles abspielen, am Tisch wird gelesen –, der Raum ist gleich neben der Toilette, und Kurt guckt mir jetzt, schon wieder, als ich dies hier schreibe, mit seinem blauen, roten? nein, ein rot-blauer Fieberkurvenstift ist’s, über die Schulter, aber er weiss doch, dass ich ihn enttäuscht habe. Wir sprechen eine halbe Stunde über den Unterschied von Literatur und Leben. Und ich denke nach jedem zweiten Satz: It’s no good, wenn der Wirt besoffener als all’ seine Gäste zusammen ist. Und er sagt «Dass du dich so zierst, bei den Texten, die du schreibst...? » – Er hat seinen schnellen Fick nicht gekriegt, wird Erich am Ende zu mir sagen, kein Wunder, dass es so rausgekommen ist. Ausser den üblichen Spuntengästen ist niemand gekommen, die paar Leute, die wir mitgebracht haben, mal ausgenommen. Erich und ich lesen dann lauter Texte über Ausbeutung, sexuelle Gewalt und alte Nazis. Ohne Pause, eine Stunde lang, untermalt von den auf- und abwogenden Kneipengeräuschen. Vor uns, direkt vor uns, wie ein Fels im Lärmmeer, Kurt, einsamer Zuhörer und Rufer. Zu Beginn, als in einer Geschichte zwei Jungen im hohen Gras verschwinden, noch ein letztes Mal mit glänzenden Augen, dann dumpfer und dumpfer werdend, bis auch er in die Trinkergemeinschaft zurückfliesst. Wäre dies hier ein Saloon im Wilden Westen, würde jetzt gut und gerne eine Schlägerei losgehen. Wir haben den strategisch günstigen Platz neben der Tür, warten und gehen – langsam – vergessen – so glauben wir. Als wir endlich aufstehen, kommt schüchtern der Kellner – er ist ein netter Kerl, Underdog, er kann ja nichts dafür – und will noch 6 Franken 80 für die zwei Mineralwasser. Poetry – that’s what it’s worth.
Abgedruckt in: «Schnell gehen auf Schnee», Stadtgeschichten. Rotpunktverlag 1998
epper - 2. Mär, 21:43