4
Sep
2006

Man müsste sich einen Hut zutun in Solothurn

Man müsste alt sein. Ich erinnerte mich dann, wie auf Solothurns Pflastersteinen Kutschen und Schweinekarren fuhren. Pferde blähten die Nüstern, der Wind wehte dem braven Bürger den Hut vom Kopf, Robert Walser beugte seinen Rücken in der «Solothurner Hilfskasse» und malte schöne Zahlen und Buchstaben. Wie Arabesken winden sie sich noch heute in den Häuserschluchten. Man müsste alt sein. Ja, man müsste sich einen Hut zutun in Solothurn. Zwei Finger der linken Hand legten sich dann unter gleichzeitigem Nicken des Kopfes an die Krempe und der Hut lüpfte sich zu einer Geste der Freundlichkeit. Eine Geste die mich und die Begrüssten um so mehr beglücken würde, als dass sie beiläufig sich vollzöge, wie ein Zwinkern mit einem Auge oder ein leichtes Heben der Brauen. «Du bist wieder da», staunten Braue, die Falten der Stirne und auch die Nase, die ich mitten im Gesicht trage. «Grüss Gott» sagte dann mein Hut – ein zu grosses Wort für den Mund, der doch auch schlingt und mit Zähnen bewehrt ist, eine spitze Zunge hat, Gerüchte verbreitend auf den Gassen der kleinen Stadt. Im Hutgeschäft am steilen Weg zur Kathedrale, dessen Bezwingung mich jedes Mal schneller atmen lässt, beglückwünschen mich zwei Damen – sie sind die Hüterinnen der Hüte gewissermassen – als ich im grossen Übermut einen weissen Cowboyhut aufs Haupt setze. Im Spiegelbild sehe ich meinen Grossonkel Hans, der als 19-jähriger Jüngling mit Sporen an den Stiefeln einen Ozeandampfer bestieg, um nach Amerika zu reisen. Hans wird in Hollywood Karriere machen, mit Gary Cooper und Ronald Reagan arbeiten und eine ganze Stunt-Dynastie begründen. «Oh Boy», raunt mir mein Spiegelbild zu. «Er ist wunderhübsch, der Hut, aber schon als Kind hatte ich Angst vor Pferden», sage ich den beiden Damen und lege den Hut behutsam auf die Auslage zurück. «Schlaf weiter, Cowboy», singen die italienischen Strohhüte... «Träum süss», flüstern die Matrosenmützen... Man müsste filterlose Gitanes rauchen auf wilder See und in den derben Hafenkneipen soll es Nacht werden. Ich trinke einen steifen Grog im «Kreuz» und wir scheuern die Sitzbänke blank. Da bleibt kein Splitter im Holz und die Tränen verschenken wir zum Abschied: Sie fliessen bis ins Meer.

(c) Felix Epper 2006

Erschienen in: Mensch Solothurn, Januar 2006
Prosa

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