Château Mercier
28
Mai
2015
27
Mai
2015
Kapitel 16
Anna zählte die Reihen der Ziegelsteine des Wohnblocks. Sie kam nie bis zur 14. Etage. Die Ziegelsteine waren grob gefügt, Mörtel quoll aus den Ritzen, wenn man eilig an den Mauern vorbeiging, konnte es passieren, dass man sich die Ellbogen blutig riss und dann kleine graue Splitter herausklauben musste. Maria hatte Angst vor porösen Baustoffen gehabt. Tuff ist am schlimmsten, sagte sie einmal. Im alten Tuff sind Knochen, Gebeine, ganze Skelette verborgen, die Wind und Wetter langsam freilegten. Ich kann nicht zu nahe an Menschen herangehen. Beim Küssen habe ich immer die Augen geschlossen, um nicht die groben Poren im Gesicht zu sehen, die talggefüllten Löcher, die roten Äderchen, die feinen Haare auf der Nase.
Es gibt Menschen, die lieben es, mit Grashalmen, Schnurrhaaren von Katzen oder auch den blossen Finger den Körperlandschaften des Geliebten abzusuchen, hatte darauf Anna gesagt. Dass sie solche Liebkosungen liebte, wollte sie ihrer Freundin nicht verraten. Ja, das war mein Elternhaus, sagte sie stattdessen. Sie hatte sich die Plätze ihrer Kindheit gezeigt. Der Wohnblock an der Eisenbahnlinie war nun mit farbigen Platten verkleidet und isoliert, nichts deutete mehr auf die Ziegelsteine hin. Im 14. Stock stand ein Fenster offen. Das war mein Kinderzimmer, hatte Anna gesagt und sie sah sich fallen, fallen, fallen und drückte die Hand ihrer Freundin fester in die ihre.
10
Mai
2015
Sonntagmorgen (kleine Impression)
8
Mai
2015
Aus Kapitel 15
Thomas war der zweite, der sich zurückzog. Er hielt das Schweigen nicht mehr aus und begann in seinem Zimmer ein Beziehungs-Diagramm zu zeichnen. Aus den hastig hingeworfenen Strichen las er: Unsere Ordnung ist endgültig gestört. Es wird uns hier oben alle zerstören. Es wird etwas ausgebrütet. Das Fremde wird unter uns bleiben. Thomas sah in den Spiegel und studierte sein Gesicht. Die Schlaflosigkeit hatte seine Furchen akzentuiert, er war hagerer geworden, er glich, je mehr Jahre ins Lande gingen, immer weniger seiner Mutter und nahm stattdessen die Züge seines Vaters an. Mama war sechs Jahre tot. Thomas mochte seinen Mund nicht, der im Normalfalle leicht nach unten zeigte und ihn immer etwas traurig aussehen liess. Das Lachen aber schien ihn, besonders auf Fotos, immer ein falsches zu sein. Er zog die Stirne in Falten – die Falten mochte er; er blinzelte, schloss dann die Augen, weil ein Staubkorn eingedrungen war. Als er wieder in den Spiegel schaute, glaubte er für einen Augenblick, das Bild des Fremden zu sehen, und eine unglaubliche Müdigkeit überkam ihn. Mit einer letzten Willensanstrengung ging er zur Tür und dann die Treppe hinunter, zurück in die Stube.
30
Apr
2015
Wahres Erlebnis
PS.
Nicht der Mann in gelb, aber der Mann, der ihm folgte… Zwei Stunden später. Ghostbuster?
23
Apr
2015
Rilke revisited
***
Die Eglise Sainte-Catherine betreten wir durch den Seiteneingang – Gottseidank, denn so empfängt uns der sakrale Bau ohne künstliches Licht. Kalt und düster ist's und der Organist schickt uns ebenfalls Schauer übers Rückenmark. Die farbigen Glasfenster zeigen symbolische Darstellungen; den Pelikan, dessen Blut heilt, das «Goldene Haus» und den Meerstern, den Stella Maris, den meine einst so geliebte ungläubige Matrosin sicher auch schon aufgerufen hat, wie alle Seeleute in Unwetter und Not…
Beim Verlassen durch das Hauptportal gehen die Lichter in der Kirch an; wir hingegen stehen wieder im gleissenden Sonnenlicht.
***
Viele weisse Wände: Das Museum Rilke zeigt in sehr klassischer, etwa wortlastiger Weise, Rilkes Wirken im Wallis. Sadly there are almost no books in Englisch.
http://www.fondationrilke.ch/pages/fr/
Rilke lebte bekanntlich seine letzten Jahre in Sierre. Sein Lebensmittelpunkt, der Turm in Muzot, von Rilke «Château» genannt, ist ein magischer Ort, glaubt man den Bildern, die man sieht. Mein Besuch dort steht noch aus. Ich verweise gerne auf einen Artikel aus der deutschen Tageszeitung «Die Welt».http://www.wunderly.ch/rilke-und-chateau-muzot/
Dessen Autor erspart uns auch Rilkes Marotten nicht.
Joe und ich brauchen keine monogrammierten Taschentücher eines Mäzens. Wir sind glücklich mit Belgischem Bier und meistern die 150 Steinstufen zu *unserem* Château leitfüssig und inspiriert.
10
Apr
2015
Printemps
Morgen dann das Rilke-Museum besuchen.
Kapitel 2 (Anfang)
2
Apr
2015
Château Mercier II
Das Lichtspiel der Lampen im Wintergarten. Das Knarren von Treppen (unvertraut). Das Schrauben an Kaffeemaschinen (sehr vertraut: Bialetti). Das Drehen von alten Schlüsseln. Das Einweichen von Duschdüsen in Essigwasser. Das Suchen nach einer Körperhaltung im etwas kurzen Bett. Das Nachschenken von Wein (Johannisberger). Das Einsinken des Stuhles im Holzboden des Balkons. Das kleine Erschrecken deswegen. Das Sprechen auf Französisch. Das Tropfen des abtauenden Eisschrankes. Das Kleinschneiden der Brunoises für das Abendessen. Das Vögeln der Vögel draussen (unaufhörlich). Das Zusammendrahten des Macintosch. Das Schreiben von einigen Seiten. Das Zählen der Tage (noch einfach: zwei).
Château Mercier
Es war früher Nachmittag, als F. ankam. Die kleine Stadt lag im Sonnenschein; der Schnee hatte sich auf die hohen Berggipfel zurückgezogen. Vom Schlossberg allerdings war nichts mehr zu sehen. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurde er abgetragen, Wasser- und Gasleitungn gelegt, Steine aus aller Welt per Eisenbahn gebracht und innert weniger Jahre entstand das Château Mercier. Lange sass F. auf der Holzbank vor der Villa Ruffieux im Schlosspark, wo ihm ein Zimmer verprochen war und sah den Gärtnern zu, die Oleander auf Gabelstaplern bewegten; die Rosenbeete zu seinen Füssen zeigten keinen Makel. Es gibt viel Land zu vermessen, dachte F.; dann hörte er das Pfauenmännchen schreien und ein grandioses Rad enfaltete sich. Die Audienz beim Schlossherren verzögerte sich, doch das war F. nur recht. Kafka flatterte davon wie das Heer von Spatzen aus den Löchern der Volière. F. wusste, er würde seinen Dienst antreten. Ein kurzer Rapport pro Tag gehörte natürlich dazu. Er zückte den Bleistift…