Château Mercier

28
Mai
2015

Kurzer letzter Eintrag

Gestern nachmittag: Auf den Baum gestiegen und Kirschen geessen ! / Heute: un dernier adieu à Joe / Feigenbaum-Ableger eintopfen / Morgen: Koffer packen und adieu à tous / und dann: weiter schreiben …

27
Mai
2015

Kapitel 16

Tuff

Anna zählte die Reihen der Ziegelsteine des Wohnblocks. Sie kam nie bis zur 14. Etage. Die Ziegelsteine waren grob gefügt, Mörtel quoll aus den Ritzen, wenn man eilig an den Mauern vorbeiging, konnte es passieren, dass man sich die Ellbogen blutig riss und dann kleine graue Splitter herausklauben musste. Maria hatte Angst vor porösen Baustoffen gehabt. Tuff ist am schlimmsten, sagte sie einmal. Im alten Tuff sind Knochen, Gebeine, ganze Skelette verborgen, die Wind und Wetter langsam freilegten. Ich kann nicht zu nahe an Menschen herangehen. Beim Küssen habe ich immer die Augen geschlossen, um nicht die groben Poren im Gesicht zu sehen, die talggefüllten Löcher, die roten Äderchen, die feinen Haare auf der Nase.

Es gibt Menschen, die lieben es, mit Grashalmen, Schnurrhaaren von Katzen oder auch den blossen Finger den Körperlandschaften des Geliebten abzusuchen, hatte darauf Anna gesagt. Dass sie solche Liebkosungen liebte, wollte sie ihrer Freundin nicht verraten. Ja, das war mein Elternhaus, sagte sie stattdessen. Sie hatte sich die Plätze ihrer Kindheit gezeigt. Der Wohnblock an der Eisenbahnlinie war nun mit farbigen Platten verkleidet und isoliert, nichts deutete mehr auf die Ziegelsteine hin. Im 14. Stock stand ein Fenster offen. Das war mein Kinderzimmer, hatte Anna gesagt und sie sah sich fallen, fallen, fallen und drückte die Hand ihrer Freundin fester in die ihre.

10
Mai
2015

Sonntagmorgen (kleine Impression)

Am Sonntagmorgen schweigen die Rasenmäher, die Drohnen schlafen, die Kirchenglocken haben ihren Schrecken schon lange verloren, die Früchte an den Kirschbäumen im Garten sind nun erbsengross, dabei haben sie doch erst gerade geblüht, dafür nun überall der wilde Salbei, Glockenblumen. Immer noch im Ohr Jacques Brels «Laat me niet alleen», das in der kleinen Bar erklang, wo ich ab und zu meinen morgendlichen Café trinke, Zeitung lese, zum Fenster hinausschaue, Schatten langsam wandern sehe. Am Sonntagmorgen schweigen die Rasenmäher, ich liege im Gras, noch immer klingen die Glocken und bringen Brels Stimme langsam zum Verstummen. Il est dimanche en Valais; heute werden die Königinnen kämpfen.

8
Mai
2015

Aus Kapitel 15

Tisch

Thomas war der zweite, der sich zurückzog. Er hielt das Schweigen nicht mehr aus und begann in seinem Zimmer ein Beziehungs-Diagramm zu zeichnen. Aus den hastig hingeworfenen Strichen las er: Unsere Ordnung ist endgültig gestört. Es wird uns hier oben alle zerstören. Es wird etwas ausgebrütet. Das Fremde wird unter uns bleiben. Thomas sah in den Spiegel und studierte sein Gesicht. Die Schlaflosigkeit hatte seine Furchen akzentuiert, er war hagerer geworden, er glich, je mehr Jahre ins Lande gingen, immer weniger seiner Mutter und nahm stattdessen die Züge seines Vaters an. Mama war sechs Jahre tot. Thomas mochte seinen Mund nicht, der im Normalfalle leicht nach unten zeigte und ihn immer etwas traurig aussehen liess. Das Lachen aber schien ihn, besonders auf Fotos, immer ein falsches zu sein. Er zog die Stirne in Falten – die Falten mochte er; er blinzelte, schloss dann die Augen, weil ein Staubkorn eingedrungen war. Als er wieder in den Spiegel schaute, glaubte er für einen Augenblick, das Bild des Fremden zu sehen, und eine unglaubliche Müdigkeit überkam ihn. Mit einer letzten Willensanstrengung ging er zur Tür und dann die Treppe hinunter, zurück in die Stube.

30
Apr
2015

Wahres Erlebnis

Ich unterbreche die Arbeit an meiner Science-fiction-Geschichte und drehe eine dieser Runden im Park, um «meine» Bäume und Sträucher zu sehen – eine lieb gewonnene Gewohnheit das, ob bei Regen oder Sonne. Heute ist das Wetter fabulös. Flugzeuge drehen ihre Runden und zeichnen weisse Kreise an den Himmel. Nachdem ich am Rosmarin gerochen und das Schloss umrundet habe, sehe ich einen Mann auf dem Weg, schnell vorwärtsschreitend. Er trägt einen gelben Schutzanzug wie ein Strassenreiniger, hat einen Rucksack hinten angeschnallt und vorne schlenkert wie zum Ausgleich ein Computer hin und her. Vom Computer weg führt eine Art Apparatur, eine Mischung aus Spazier- oder Skistock und Staubsauger. Der Mann macht den Eindruck in selbstverständlicher Mission unterwegs zu sein. Ein Landvermesser? Ein moderner Wünschelrutengänger? In meiner Geschichte würde er mit seinen Sensoren den toxischen Verwüstungen nachgehen; er wäre wohl keine humanoide Einheit. Ich zögere, ob ich ihn ansprechen soll, mache es schliesslich aber nicht. Vielleicht, um diese wie aus der Zeit gefallene Figur so besser in meine Story bringen zu können. Ihr ein absurdes Geheimnis zu lassen. Wenn jemand hier, mich aufklären kann, dann mag er das ruhig tun. Auch «falsche» Theorien sind natürlich willkommen.

PS.

Nicht der Mann in gelb, aber der Mann, der ihm folgte… Zwei Stunden später. Ghostbuster?

Pestcontrol

23
Apr
2015

Rilke revisited

Heute habe ich zuammen mit Joe Ferrante – ebenfalls Writer in Residence in der Villa Ruffieux – das Rilke-Museum besucht. Das Städtchen Sierre präsentiert sich sanft und luftig, die Strassencafés füllen sich; junge Leute zeigen sich und ihre Haut; Sonne und die leichte Bise gehen eine wunderbare Mariage ein. Im einst prunkvollen Hôtel Bellevue ist nun die städtische Administration zu Hause. Vergeblich steigen wir die Stiegen hoch auf der Suche etwa nach dem «Grand Salon», den eine Fotografie der 1850er Jahre uns vorgegaukelt hat. Einige Wandmalereien jedoch sind geblieben und die Aussenansicht und auch der Hof des «Hôtel de Ville» sind offen und grosszügig. On va boire un café…

***

Die Eglise Sainte-Catherine betreten wir durch den Seiteneingang – Gottseidank, denn so empfängt uns der sakrale Bau ohne künstliches Licht. Kalt und düster ist's und der Organist schickt uns ebenfalls Schauer übers Rückenmark. Die farbigen Glasfenster zeigen symbolische Darstellungen; den Pelikan, dessen Blut heilt, das «Goldene Haus» und den Meerstern, den Stella Maris, den meine einst so geliebte ungläubige Matrosin sicher auch schon aufgerufen hat, wie alle Seeleute in Unwetter und Not…

Beim Verlassen durch das Hauptportal gehen die Lichter in der Kirch an; wir hingegen stehen wieder im gleissenden Sonnenlicht.

***

Viele weisse Wände: Das Museum Rilke zeigt in sehr klassischer, etwa wortlastiger Weise, Rilkes Wirken im Wallis. Sadly there are almost no books in Englisch.

http://www.fondationrilke.ch/pages/fr/

Rilke lebte bekanntlich seine letzten Jahre in Sierre. Sein Lebensmittelpunkt, der Turm in Muzot, von Rilke «Château» genannt, ist ein magischer Ort, glaubt man den Bildern, die man sieht. Mein Besuch dort steht noch aus. Ich verweise gerne auf einen Artikel aus der deutschen Tageszeitung «Die Welt».
http://www.wunderly.ch/rilke-und-chateau-muzot/
Dessen Autor erspart uns auch Rilkes Marotten nicht.

Joe und ich brauchen keine monogrammierten Taschentücher eines Mäzens. Wir sind glücklich mit Belgischem Bier und meistern die 150 Steinstufen zu *unserem* Château leitfüssig und inspiriert.

10
Apr
2015

Printemps

Es ist wohl wirklich die schönste Zeit des Jahres. Steigt man die mittelalterlichen Gassen von Sion hoch, die so schön sind, dass man seine Schritte immer noch ein wenig mehr verlangsamen will, um die immer neuen Ein- und Ausblicke nicht zu schnell aufeinander folgen zu lassen, befindet man sich schliesslich doch beim letzten Haus auf dem Hügel, aus dessen Garten ein Kirschbaum ragt. Rosarote Blüten senden ihren Duft aus; der Baum ist alt; man spürt, dass seine Tage bald gezählt sind. Aus knorrigen Ästen blüht es und die jungen Blätterknospen springen auf… Ein schmaler Pfad schlängelt sich nun am Fuss des Schlosshügels. Weiss wie Schnee leuchten jetzt die Sträucher. Es müssen Pflaumenblüten sein wie im Garten der Kindheit. Es sind unzählige. Versuche, Fotos zu machen, sind zum Scheitern verurteilt, und auch diese Sätze hier sind wohl nur ein Memento für mich: An solchen Momenten des Glücks festzuhalten. Sich wieder daran zu erinnern, wenn die Blüten in Pfützen schwimmen, in kleinen Bächen zu Tal geschwemmt werden. Im Sommer wird die Sonne hier das Gras gelb verbrennen, und ich weiss nicht, ob man im Herbst die Früchte von den Sträuchern pflücken kann.

Morgen dann das Rilke-Museum besuchen.

Kapitel 2 (Anfang)

Thomas war hellwach. Wie immer seit Wochen erfüllte ihn beim Aufwachen eine Panik, Blitze der Erkenntnis prallten auf sein Hirn. Er starrte durch das kleine Ofenfenster auf eine leise werdende Glut; Zigarette, Kaffee, Zigarette hiess ansonsten die Zauberformel, aber er wusste ja, dass er nicht alleine war. Er faltete die Wolldecke zusammen, die auf seinen Schenkeln gelegen war und legte sie auf die Armlehne. Die Luft im Raum war abgestanden; Thomas verlangte nach dem harzigen Geruch des Fichtenholzes, dem Knacken, dem Aufzischen des Saftes. Er öffnete mit dem russigen Hacken die Türe und starrte auf die Asche, auf der sich die Seiten eines Taschenbuches wellten, es war, als ob Buchstaben schweben würden, dunkelgrau auf grau; sie tanzten einen letzten Tanz.

2
Apr
2015

Château Mercier II

Impression aus dem nächtlichen Wintergarten

Das Lichtspiel der Lampen im Wintergarten. Das Knarren von Treppen (unvertraut). Das Schrauben an Kaffeemaschinen (sehr vertraut: Bialetti). Das Drehen von alten Schlüsseln. Das Einweichen von Duschdüsen in Essigwasser. Das Suchen nach einer Körperhaltung im etwas kurzen Bett. Das Nachschenken von Wein (Johannisberger). Das Einsinken des Stuhles im Holzboden des Balkons. Das kleine Erschrecken deswegen. Das Sprechen auf Französisch. Das Tropfen des abtauenden Eisschrankes. Das Kleinschneiden der Brunoises für das Abendessen. Das Vögeln der Vögel draussen (unaufhörlich). Das Zusammendrahten des Macintosch. Das Schreiben von einigen Seiten. Das Zählen der Tage (noch einfach: zwei).

Château Mercier

«Es war spät abends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schloßberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloß an. Lange stand K. auf der Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führte, und blickte in die scheinbare Leere empor.»

Es war früher Nachmittag, als F. ankam. Die kleine Stadt lag im Sonnenschein; der Schnee hatte sich auf die hohen Berggipfel zurückgezogen. Vom Schlossberg allerdings war nichts mehr zu sehen. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurde er abgetragen, Wasser- und Gasleitungn gelegt, Steine aus aller Welt per Eisenbahn gebracht und innert weniger Jahre entstand das Château Mercier. Lange sass F. auf der Holzbank vor der Villa Ruffieux im Schlosspark, wo ihm ein Zimmer verprochen war und sah den Gärtnern zu, die Oleander auf Gabelstaplern bewegten; die Rosenbeete zu seinen Füssen zeigten keinen Makel. Es gibt viel Land zu vermessen, dachte F.; dann hörte er das Pfauenmännchen schreien und ein grandioses Rad enfaltete sich. Die Audienz beim Schlossherren verzögerte sich, doch das war F. nur recht. Kafka flatterte davon wie das Heer von Spatzen aus den Löchern der Volière. F. wusste, er würde seinen Dienst antreten. Ein kurzer Rapport pro Tag gehörte natürlich dazu. Er zückte den Bleistift…
Night of the living dead

lieber epper als niemert

Betrachtungen. Manchmal Urteile.

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Kafkas Reisetagebuch, Paris, 11. September 1911. «Auf...
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Merci beaucoup! A suivre ici: https://epper.twoday.net/st ories/1022422362/
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Bis vor kurzem war ich...
Bis vor kurzem war ich der festen Überzeugung, dieser...
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Lieber nicht leben wie der Panther. Diese pathetische...
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