Jahrestage

8
Nov
2016

Peter Weiss

Heute Morgen im Halbschlaf Radio gehört. Eine Sendung zu Peter Weiss’ 100. Geburtstag. Gleichsam mit den Worten von und über Peter Weiss ein Fluten der Vergangenheit in meinen noch tauben Kopf. In den 80er-Jahren las man in der sozialdemokratischen Jugend «Die Ermittlung», sah sich im Stadttheater St. Gallen eine Inszenierung von «Marat/Sade» an. Ich erinnere mich gut an meinen Deutschleher, der in seinem gewohnt steifen Auftreten im Theater-Foyer an einem Glas Wein nuckelte, wenig angetan vom Stoff, wie wir meinten, und wir - die Jugend – hatten das Gefühl begriffen zu haben, wo die Grenzlinien verlaufen. Das war unsere Sache. Gescheitert sind wir dann alle an der «Ästhetik des Widerstandes», diesen sperrigen 1’000 Seiten über die Arbeiterklasse, an der ich mich wieder einmal festlesen sollte. Gerade heute, am Tag der US-amerikanischen Wahlen, wo Millionen von Arbeitern einem vulgären Marktschreier ihre Stimme geben werden…

Sendung «Kontext», SRF2. 8. November 2016

22
Okt
2007

80 Jahre Grass

butt

Ja, ja, der Grass. Ja, ja wieso nicht ein paar Worte zum Butt. Grass-Bashing ist nicht mehr so en vogue? Anyway. Ich und der Grass, das liesse sich so zusammenfassen: Hat sich Grass die ganze deutsche Bürde in seiner Danziger Trilogie aufgeladen (die noble, aber späte Reuung erklärte ja doch einiges), so hat mir Grass mit dem Butt (English: dem Arsch) einen kruden Feminismus aufgeladen. Männer sind Schweine, besonders am Vatertag, ausser sie sind mit einem Weib gesegnet, dass es sich ordentlich von hinten (siehe Titel)... Schwer, als sensibler 17jähriger da wieder rauszufinden... Fussnote: Im Gymnasium lasen wir nicht "den Arsch" sondern "den Schwanz" - ich meine "Katz und Maus". Unser armer Lehrer hat es uns erspart, die Wix- und Spermaszenen vor der Klasse laut lesen zu müssen... "Mindestens 25 cm..." Oh Gott... Das hätte doch alle postpubertierenden Jungs beschämt... Danke, Herr Scherer für Ihre Milde!

Die Blächtrommel
Ist etwas "aggro" meine Schreibe. Also ein mildernder Nachsatz: Noch bevor uns Herr Scherer zuhause lesen lies - ich werde, falls man mich endlich einmal zu einer Klassenzusammenkunft einlädt, dort eine Umfrage starten, wer "Katz und Maus" als Wixvorlage benutzt hat - habe ich mit der "Blechtrommel" mit 16 zum ersten Mal (nach dem Graf von Monte Christo mit 12, 13) wieder ein Buch wirklich gelesen. Die Literatur hat mich entdeckt und ich bin hängen geblieben. Und, ja, ja, der Grass... Ordentlich von hinten... why not. I'm a bit drunk, sorry folks for this post... Ich brings nicht auf die Reihe! Noch ein Satz: Meine These ist, dass seit dem Butt, welches das letzte Buch Grass' ist, das - sagen wir's salopp - einen hochgekriegt hat, die schweiniglische-erotische Energie fehlt. Der Prosastrom dümpelt, statt sich satt zu ergiessen... Aber vielleicht ist das ja doch besser, so zu altern, als Altherren-Viagra-Prosa abzusondern wie andere Schriftsteller's von Grass' Generation. So fliehend, die Pferde...

20
Jun
2007

Vor dem längsten Tag

Der grosse Niederbipper Schriftsteller Gerhard Meier ist 90 geworden. Und zwar am selben Tag, an dem auch ich einen runden Geburtstag feiern kann. Es wird ein langer Tag werden, golden von Sonnenstaub und dunkel verhangen am Abend. Vielleicht braucht man die Leselampe für die «Toteninsel»…
Lesen Sie auch meine Spurensuche am Jurasüdfuss.

27
Feb
2007

Burger-Blog

Darf ich hiermit die Hermann-Burger-und-die Folgen-Diskussion auf eine höhere Ebene heben. Vielleicht hebe ich sie hiermit auch auf, was schade wäre, bin ich doch von der Wichtigkeit des Aufhebens wertvoller Krumen am Boden überzeugt. (Klammerbemerkung: Diese Illustration der Dialektik anhand dreier Bedeutungen von "Aufheben" stammt aus Res Stehles Einführung in die politische Ökonomie; ja der Res, der uns im letzten "Magazin" drei Konvertiten um die Ohren schlug; Haken schlagen wie die Hasen muss man da, um mitzukommen...)

25
Feb
2007

Museum des Hasses

Jürg Federspiel ist tot; der grosse Erzähler, Chronist (lest seine New Yorker Reportagen!) und Freund Niklaus Meienbergs ist im Rhein gefunden worden. Man ist immer sehr berührt von solchen Nachrichten und bläst dann Staub aus alten Büchern.
Nachruf aus der NZZ von morgen

27
Dez
2006

200 Mann auf des toten Manns Kiste

Bundesrat bestimmte Marschtempo
Das Güllener Tagblatt berichtet über den Gedenk-Spaziergang für den an Weihnachten 1956 in Herisau verstorbenen Dichter Robert Walser mit Bundesrat Hans-Rudolf Merz. Hechelnd, so liest der glücklich Daheimgeliebene, marschierte die 200köpfige Hydra auf die Wachtenegg, um des Dichters Tod im Schnee zu gedenken. Der Walser Hype hat damit hoffentlich endlich ein Ende. Ein jeder lese ihn und schreibe ihn neu, aber 200 Walserianer im imaginierten Schnee, das geht doch über meine Vorstellungskraft. Ab dem 1. Jänner habe ich ihn wieder für mich allein.

PS. Soll man soweit gehen und Gedenkjahre "unverschämte Trivialisierungsattentate" nennen, wie das unser liebster Sloterdijk tut. Warten wir das erste Sloterdijk-Gedenkjahr ab.

16
Sep
2006

An K. Ph. Moritz anknüpfen (Fragment)

Itzt, da er nun denselben Galgen wiedersah, an dessen Vorstellungen sich alle die süssen Erinnerungen an seine Kindheit anknüpften, wurde er plötzlich von einer un | aussprechlichen Wehmuth erfüllt – was damals blühte, fing nun schon an zu welken – und was damals welkte, war nicht mehr –
Karl Philipp Moritz, Andreas Hartknopf. Stuttgart 2001, Seite 39f.

Mit wem soll ich übers Anknüpfen in dieser grandiosen Passage sprechen? Wer teilt meine Begeisterung für solch’ Entdeckungen. Die lokalen Schriftkundigen (ich ironisiere, wie Sie sehen, denn es gehören wahre Könige dazu) lächeln mich vielleicht an und sagen: Ja, der Moritz, ja, ja der Hartknopf, wenn der mehr Leser hätte… Aber will man das überhaupt? Man ist eifersüchtig als Leser, sagen mir die Schriftkundigen dieser Stadt, und auch ich möchte nicht meine Existenz in ein Gespräch über Moritz legen und dann Unverständnis ernten, Lachen gar. Ich kenn’ als Literat den einen oder anderen Lehrer dieser Stadt. Man gibt sich hier wie von Welt und nennt sich Professor, auch wenn’s nur eine lausige Kleinstadt von 15'000 Seelen ist. Ich fahre mit der Strassenbahn, um den Professoren möglichst nicht zu begegnen. Ich muss ja ständig ein Buch dabeihaben, und in der Strassenbahn von A nach B, neben mir mein Spiegelbild in der Scheibe, lesen sich die kleinen Bücher, die ob meinen Anstreichungen immer so bleischwer werden, so ganz professorenfrei. Fast vermisst man dann nicht einen Freund, der mitanknüpfen wollte und verbinden Einsamkeiten, Lieben u. dgl. mehr.
Moritz bewegt mich. Aber er macht mich mehr staunen, als er mich rührt (in der Seele, um eine Metapher zu gebrauchen), sagte ich dann zu meinem Freund der Literatur und er würde nicht anders können, als dem zustimmen. (Natürlich nicht, es ist eine Ketzerei, NICHT gerührt zu sein, sagt jeder, der den Anton Reiser gelesen hat.) Ein Zustand der intellektuellen Angeregtheit, doziere ich nun schon ziemlich laut, vergleichbar mit einer stumpfen Zufriedenheit, die aber erarbeitet und nicht erlitten sei…
Wer schreibt denn nicht übers Heimkommen? Seit Stiller, werfe ich den Professoren an den Kopf, spukt das in den Köpfen der Schweizer Schriftgelehrten – ich gebe den ganzen Stiller für diesen einen Galgen. Ich sehe, ich erschöpfe Sie, werter Herr Professor, ich ermüde Sie, lieber Freund, und fange doch erst an zu denken, ich habe meine Fachwörter gelernt, die kommen schon noch… schauen Sie mich nur nicht so böse an, ich verbeuge mich doch nur. Kein Jota füge ich hinzu, will keine Höllen=Qualen erleiden, ich kenne die Drohung des Heiligen Johannes aus der Offenbarung… Erledigt, meine Herren.
Ich habe meine Doktorarbeit über den Moritz nie geschrieben, bin nie über das unselige Zettelkastenstadium ausgelangt, habe mit der Zeit auch gar nicht mehr denken können. Zuerst nichts mehr über Moritz denken können, dann über gar nichts mehr, ausser noch, dass du mir einst in einer Sommernacht aus dem Anton Reiser vorgelesen hast. Es war am Steg des kleinen Teiches in der anderen Kleinstadt, aus der ich stamme, gewissermassen. Du fandest dein ganzes Ich in diesem damals schon zweihundet Jahre alten Buch. Der Versuch einer Freundschaft mit dir konnte nur scheitern, doch es zirpten schon fast die Grillen wie im Süden, es war ein Frühlingsabend, die schon den Sommer ahnen ließ. Der unverhofft geschenkte Sommer im Frühling ist der einzige, den ich auch heute noch ertrage. Und der späte April war mir immer der schönste Monat, weil man nichts erwarten konnte: nicht einmal belaubte Bäume waren uns versprochen.
Night of the living dead

lieber epper als niemert

Betrachtungen. Manchmal Urteile.

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Kafkas Reisetagebuch, Paris, 11. September 1911. «Auf...
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Merci beaucoup! A suivre...
Merci beaucoup! A suivre ici: https://epper.twoday.net/st ories/1022422362/
Epper - 23. Apr, 18:51
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Bis vor kurzem war ich der festen Überzeugung, dieser...
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